Archiv Fotos | Anekdoten

Galerie Archiv-Fotos ... und Anekdoten von Wolfgang Staribacher (keyboards)


Z A U B E R  D E R  
M O N T U R

Die Kleiderordnung für Tanzmusiker ist streng - Uniformzwang! Alle Bandmitglieder in der gleichen Farbe, dem gleichen Schnitt. Spinning Wheel war eine der ersten, die das lockerten, quasi den Casual Friday im Kommerzbusiness einführten: im letzten Set wagten wir unterschiedliche Klamotten für jeden.

Denn ständig musste man sich umziehen. 3, 4 verschiedene Garderoben jeden Abend, das bedeutete Klasse! „Du solltest die Jungs mal sehen, wenn sie weiß anhaben!“ konnte man mal eine Barfrau uns loben hören. Wenn du zu Hause jeden Tag sechs Stunden hinterm Instrument verbringst, um es als Musiker zu schaffen, kommen deine Prioritäten schon ins Wanken, wenn du ständig sowas hörst.

Denn die Barfrauen sind wichtig. Und noch wichtiger sind all die anderen Frauen im Club.

Denn – weiß jeder im Nachtgeschäft – wo viele Frauen sind, kommen auch viele Männer, und wo viele sind, wird viel getrunken und der Umsatz stimmt. Und das ist das Einzige, was zählt!

Frauenmäßig gab es bandintern kein Pardon in den ersten – den ehrgeizigen - Jahren.

Tanzmusik im Club, das bedeutete jeden Abend gut sechs oder sieben Stunden spielen; aber mit vielen Pausen. Und in den fünf größeren Pausen musste jeder von uns im selbstlosen Dienst für den Umsatz zu einem Tisch hin und bei den Mädels seinen Charme versprühen. Wir waren ja bestens geeignet dafür. Karlburschen alle sowieso. Und unser Wiener Dialekt wurde mit Entzücken geradezu aufgesaugt von den Schwaben und Badenserinnen.

Irgendwie mussten wir die verschiedenen Outfits dann auch benennen. Neben dem erwähnten „Weissen“ gab es unter anderem noch das „Feuerwehrgwandl“ dank seiner famosen Farbe. Der personalisierte Style im letzten Set lief unter „Persönlichkeitskostüm“.

Aber unser großer stilistischer Stolz war ein Design, das den Uniformgedanken auf eleganteste Weise weiterentwickelte. Verschiedene Schnitte, für jeden von uns persönlich ausgesucht, aber farblich aufeinander abgestimmt, aus zwei speziellen Stoffen.

Einer davon war leider extrem kratzig. Und schon hatte unser Top-Outfit seinen Namen weg:

„Kettenhemd“

I V A N

Theatermusiker im Orchestergraben lesen einfache Kost: Zeitung. Groschenromane. Pornohefte.

Das tun sie möglichst unauffällig. Aber wenn der Hauptdarsteller oben auf der Bühne auch unübersehbar aus dem Pornoheftl guckt, das da im Graben unter den Muckern herumgereicht wird, wird das Raunen und Glucksen irgendwann unüberhörbar. Auch wenn der nur als Poster-Fototapete im Hintergrund der heissen Action zu sehen ist.
Aber Ivan Rebroff, der da „Anatevka“ gab im Theater an der Wien, konnte gut mitlachen. Und unser Andi als Substitut  (Tenorsax und Flöte) auch.

Das nächste Mal war`s schon hautnaher. Spinning Wheel hatte es in den namhaftesten Club in Süddeutschland geschafft, „Bachmair“ am Tegernsee. Hier waren neben der Tanzband jeden Monat 2-3 absolute Top-Acts engagiert, mit denen wir uns die Bühne teilten: Les Humphries und seine Singers, Udo Jürgens, Roy Black. Und eben Ivan Rebroff.

Ivan war gerade an einem Wendepunkt seiner Karriere. Er wollte nicht immer den ewigen Russen mit der Pelzmütze geben (er war ja Berliner mit russischen Vorfahren), wollte zeigen, was er sonst noch drauf hatte. Gerade hatte er ein Album mit wunderschönen Balladen von Mikis Theodorakis auf Griechisch aufgenommen. Und Spinning Wheel war ja musikalisch äußerst vielseitig.


Wir gefielen dem Ivan, begannen mit ihm zu proben und bald stand eine richtig fette US-Tournee in Aussicht, erstes Konzert San Diego, unvergessen. Vorher wollte sein Management die neue Begleitband noch hören. Ein mächtiges Open-Air in Frankfurt vor 8.000 sollte zum Test für uns werden.


Und da waren wir auf einmal in der schillernden Welt des großen Show-Biz. Schon die Grenzübertrittte waren abgehoben.
Damals, weit vor der EU, war jegliches Musikequipment in Österreich wesentlich teurer als in Deutschland. Und an der Grenze wurde scharf kontrolliert, was wo gekauft wurde, Kaufverträge wurden verlangt. Als Musiker kamst du aber problemlos durch, wenn du einen aktuellen Gastspielvertrag vorweisen konntest.
Vertrag?? Für Ivan kein Thema – mit lockerer Geste schrieb er einen launigen Brief auf sein persönliches Büttenpapier „An die hochwohlgeborenen Herrschaften der Zollbehörde“.
Und wie das klappte! Nur den Brief mussten wir da lassen, als „Autogramm“.

Genächtigt wurde auf Ivans Schloss in Idstein im Taunus, umgeben von einem Dutzend riesiger, extrem scheuer Spanischer Windhunde.
Der damals schon offen schwule Ivan hatte ja von der ersten Minute bei uns seinen besonderen Schmäh drauf. Und in einer Band mit zwei Bläsern gab`s auch genug Stoff für Zweideutigkeiten.
Als dann aber in Idstein spätnachts die äußerlich nur mit „M + F“ oder „M + M“ beschrifteten Filmrollen (Super-8, Old School) ins Spiel kamen, wurde es uns doch zu steil.

E S S E N

Wir haben das Leben als Tanzmusiker genossen, es war ja auch durchaus angenehm. Bis auf die zwei stressigen Tage: den letzten im Engagement, der nahtlos in den ersten im nächsten Club übergeht. Man spielt bis 2, 3 Uhr nachts, dann heißt es Instrumente und Anlage zusammenpacken und in den Bus karren, Zimmer räumen, ein paar Hundert Kilometer Autobahn, im nächsten Engagement einchecken, Anlage auf die Bühne schleppen, aufbauen, Soundcheck.

Und falls dann gerade ein Fünf-Uhr-Tee ansteht, sind mehr als 2 Stunden Schlaf kaum drin, wenn man endlich gerädert ins Bett fällt.

Diese forcierten Nachtfahrten sind nicht ungefährlich. Wir haben einmal von einem Unglück anderer profitiert. Urplötzlich war die Anfrage gekommen, in einem der besten norddeutschen Clubs zu spielen. Der Schlagzeuger der ursprünglich gebuchten Band war mit dem Bandbus nachts von der Autobahn abgekommen, er selbst tot, die Anlage „nur mehr Splitter!“

Für uns war es die Rettung. Nachdem wir in Karlsruhe rausgeflogen waren, hatten wir unseren Ruf bei allen Agenturen weg. Dass wir letztlich bleiben durften, der Chef am Schluss sogar richtig zufrieden war („Kapelle hat sich gesteigert!“) hat schon keiner mehr mitgekriegt. Wir saßen im letzten Loch fest, einem Teenie-Schuppen, wo wir von 19h bis 2h spielen mussten um kleines Geld, und für`s nächste Monat hatten wir noch gar nichts.

Aber jetzt war der Chef der „Weinstuben“ angesagt, irgendwann im Laufe des Abends sollte er aufschlagen, hatte uns die Agentur informiert!

Wir hatten damals über 5 Stunden Programm, davon aber nur 2 Stunden hochklassig mit Bläserarrangements, Chören. Das hielten wir zurück, um dann ein Feuerwerk zu zünden, sobald er gesichtet wurde. Parole wurde ausgegeben: „My first, my last, my Everything“ war das unmissverständliche Zeichen an alle: Jetzt gilt`s!

Alles lief dann bestens, und wenig später waren wir am Weg hinauf in den Ruhrpott. Das Lokal war geradezu einschüchternd elegant, ein innenarchitektonisches Juwel, das eher an ein Casino erinnerte - unschwer sich dazu das entsprechend gesetzte Publikum vorzustellen. Und von der ersten Minute an mahnte die Chefin: „In meinem Haus, da zählt nur Melodiiieee, Melodiiieeee...“

Nach knapp 2 Stunden Schlaf war dann tatsächlich 5-Uhr-Tee angesagt. Das Publikum sehr betagt, unsere Eltern wären Youngsters gewesen in dieser Crowd. Vorsichtig packten wir das Standard-Repertoire aus, English-Waltz, Samba, Glenn Miller. Und nur ja nicht zu laut!

Die Reaktion des Publikums – lau.

Michl hatte als Erster seine Haltung wieder gefunden: „Nix da! Wir san die Spui! Verstärker aufdrehn! Moneyrunner erstes Stück!“ Und sie waren im Glück! Begeistert hotteten die Essener Mamas and Papas zu unserem Disco-Sound ab.

Auch unsere Chefs waren hingerissen, blieben es den ganzen Monat und auch in den folgenden Re-Engagements. Das ständige „Meine Jungs aus Wien“ „Und jetzt geht zu eurer Mutter/eurem Vater“ (damit meinten Chef und Chefin sich gegenseitig) stieg uns so zu Kopf, dass wir kurz erbschleicherische Fantasien entwickelten, die zwei waren ja kinderlos.

Und der Wiener Schmäh!

Einige Klischees werden ja scheint`s mit der Entfernung immer absurder. Und Wien hatte bei unseren Essener „Eltern“ einen unglaublichen Ruf: „ Wir sind auch mit dem Fiaker gefahren.

Der Kutscher, der hat ständig Wein getrunken. Und das Pferd trank Bier!“

E S    W I R D    E R N S T

Der kleine österreichische Musikmarkt bringt es mit sich, dass man als österreichischer Musiker früher oder später in Deutschland spielt. Oft ist das ein qualitativer Sprung. So war`s auch bei uns.


Im ersten Jahr waren die Clubs (in Tirol und Südtirol) entweder als Kellerbar einem Hotel zugehörig. Oder das Lieblingsspielzeug eines Jungbauern, der etwaigen Verlust mit dem Verkauf eines Ackers wettmachen konnte.

In Deutschland wehte ein anderer Wind!  Wir waren gerade am Aufbau unserer Anlage, in Karlsruhe war`s, da ließ Chef Egon sein mächtiges Organ in tiefstem Badenserisch ertönen:
„Was? Euer Organischt sitzt? Bei mir muss d`r Organischt immer stehe!“  Macht mehr her für den „Bühnenverkauf“. In letzter Minute hatte er dann noch ein Einsehen, als Sextett wären ja genug von uns auf den Beinen. (Sonst spielten in dem Laden meist Quartetts.)


Und jeden Abend wurde uns der Umsatz mitgeteilt. Mit nicht sehr freudiger Miene, dürfte wohl nicht so gut gewesen sein. Nach drei Tagen hatten wir die Kündigung! Wir wurden aufgeklärt, dass Egon sich sofort um einen Ersatz umschauen würde. Bis eine bessere Band gefunden war, durften wir weiterspielen.

Katastrophe! Existenziell war keiner von uns darauf angewiesen, wir waren ja alle Studenten. Aber die Schmach! Es war Juli, der erste Monat von dreien, die wir auf Tour sein wollten. Und für August und September hatten wir noch gar nichts. Die Agenturen hatten alle abgewartet, wie wir uns in Karlsruhe schlagen würden.
„Ach, ich dachte, ihr seid schon wieder zurück in Wien!“ war die Standardantwort, die unser Michl (unser Bandleader in den ersten Jahren) hörte, wenn er anrief. Fast jeden Tag pilgerte die Band geschlossen zum Hauptbahnhof, lungerte mit besorgten, erwartungsvollen Mienen vor der brütend heißen Telefonkabine, wo Michl bei den Agenturen den Schaden zu begrenzen versuchte.

Auf der Bühne kämpften wir ums Überleben, hatten verbessert, was zu verbessern war: keine Sekunde Pause zwischen den Songs, die Bläser und Gitarristen hatten Tanzschritte eingeübt und selbst für die tiefste physiognomische Ausformung des professionellen Kommerzmusikers waren wir uns nicht zu schade – den permanent im Mundwinkel festgefrorenen Dauergrinser.

Es wurde dann nicht so heiß gegessen wie gekocht. Egon fand keine Besseren, der Umsatz pendelte sich passabel ein, und das Ganze stellte sich letztlich als eine Intrige von netten Kollegen heraus.
Wir spielten, wie geplant, bis zum Ende des Monats und alle waren zufrieden.


Egon war kein in der Wolle gefärbter Tanzclub-Betreiber. Das muss man zu seiner Verteidigung sagen, dass er unser Talent so verkannt hat. Er war eher eine schillernde Figur, um einen Euphemismus zu bemühen. Jahre später hat er es sogar zu einem SPIEGEL-Artikel (inklusive Foto an der Seite des deutschen Fußballnationalspielers „Icke“ Hässler) gebracht.
Es ging um gefälschte Rolex.